“Gott schuf den Menschen in Seinem Bilde” heißt keinesfalls, dass Gott das Ebenbild des Menschen wäre. Vielmehr hat Er ein Bild von uns, und nach diesem schuf Er uns. Denn auch Eichhörnchen, Vulkane, Sterne, Nebulae, und alles andere sind Bilder Seines Geistes. Genau wie wir Menschen.
Wir sind also Sein Bild, doch Er ist das Bild von Allem. – Man beachte wohl, nicht dieses Alles, sondern dessen Bild. Was oder wie wäre ein solches Bild? Bevor ich mich dieser Frage zuwende, ist es, wie ich meine, aber erforderlich zu überlegen, was das denn ist: Erschaffen.
Eines der größten Missverständnisse über Gott ist, Ihn als Schöpfer zu bezeichnen. Man kann es zwar so ansehen, ja, doch dies birgt im Kern eine falsche Grundannahme, die derart zentral ist, dass sie den Zugang zu Gott zu versperren vermag.
“Es werde Licht”, so beginnt der Schöpfungsmythos der Bibel. Und genau da haben Sie es. Gott erschuf nicht das Licht, sondern das Licht wurde. Sehen Sie, eine Schöpfung bedingt einen Anfang – und damit auch ein Ende. Doch das Sein, in dem wir sind, ist ewiges Werden. Und es ist das Wesen Gottes, welches dieses Werden hervorbringt.
Was also ist Gott? Er ist ein Gesetz, das solcherart beschaffen ist, dass Es ewiges Werden bedingt. Mithin, das Gesetz Der Natur – oder, mit anderen Worten, die vollständige Summe aller Naturgesetze. Derer, die wir schon kennen, und noch aller anderen, sogar jener, von denen wir noch nicht einmal glauben können, dass es sie geben könnte. Oder solcher, die wir zwar kennen, aber von denen wir nicht verstehen, dass sie ein Naturgesetz sind. Der Liebe, zum Beispiel, oder der Vergebung und Hoffnung. Somit, Gott ist nicht die Natur, sondern Das, Was sie ewig erblühen lässt.
Es klärt vieles, Gott solcherart anzusehen. Was ist gut, was ist böse? Wird das Reh nicht den Tiger böse finden, der es frisst? Wird jedoch nicht auch der Tiger seinem Tigergott danken und Ihm wohlgefallen, dass er gesättigt wurde?
Aber, Sie ahnen es, das ist eine völlig verkehrte Fragestellung. Das Reh folgt fliehend dem Gesetz seiner Natur, und der Tiger jagend dem seinen. Tatsächlich würde dasjenige Reh dem Gesetz Der Natur zuwiderhandeln, welches sich widerstandslos verspeisen ließe – und derjenige Tiger, der verhungern würde, um das nicht zu tun.
Nun sind weder Tiger noch Rehe überhaupt in der Lage, Das Gesetz so weitgehend zu interpretieren, aber wir Menschen sind es. Denken Sie an Märtyrer, Widerstandskämpfer, Soldaten, die sich mit einer Granate um den Bauch unter einen Panzer rollen. Aber auch an Menschen, die ihren eigenen Kindern erstickende Masken vors Gesicht schnallen, giftige Stäbchen ins Hirn rammen und sie schafsdoof zwingen, an einem lebensgefährlichen Gentech-Experiment teilzunehmen.
Doch ich schweife ab. Jedenfalls, es gibt offensichtlich eine fundamentale Unterscheidung zwischen zwei “Welten” im Universum, und sie besteht darin, ob “etwas” Freiheit besitzt oder nicht. Dieses “Etwas”, das keine Freiheit besitzt, nennen wir Materie. Und das andere “Etwas”, das – in welchem Umfang auch immer – über freie Entscheidung verfügt, das nennen wir Leben.
Es ist ja nicht wahr, dass nur wir Menschen Freiheit des Willens besäßen. Jeder Haustierbesitzer weiß, seine Katze kommt auf alle möglichen Ideen. Und die Katze eines anderen auf ganz andere. Natürlich hat zwar eine Katze viel weniger Freiheiten als ein Mensch, aber sie hat welche. Sogar ein Wurm hat Freiheitsgrade, ob er linksrum oder rechtsrum kriecht, es sind zwar sehr wenige, doch es gibt sie. Denn es ist das Kennzeichen jeden Lebens, das es Freiheit besitzt.
So hat also selbst ein Schmetterling den Steinen, aber auch den Wolken, Sonnen und Galaxien etwas sehr Wesentliches voraus. Er trifft eigene Entscheidungen – und je höher das in Rede stehende jeweilige Leben ist, desto weitreichender und mächtiger wird die Kraft dieser Entscheidungen.
Nun mag das alles ein wenig selbstverständlich klingen, doch es weist auf etwas sehr Wichtiges hin: Freiheit ist eines der Naturgesetze, und zwar eines, das wir zwar schon erahnen, aber noch nicht einmal im Ansatz verstanden haben. Ohne Freiheit kein Leben, da es aber Leben gibt, ist – notwendig – Freiheit ein Teil des Gesetzes Der Natur.
“Warum lässt Gott das zu”, immer wieder ist es die Klage, wenn Furchtbares geschieht, ganz besonders, wenn Menschen anderen Menschen Schlimmes antun. Tja. Weil es sonst nur Steine gäbe.
Aber ich schweife schon wieder ab. — Glauben Sie, dass Menschen unbegrenzte Freiheit besitzen? Aber Sie müssen doch morgens aufs Klo, nicht? Wir Menschen haben natürlich die größten Freiheitsgrade des von diesem Planeten hervorgebrachten Lebens, aber da gäbe es noch viel Luft nach oben, ich denke, da sind Sie mit mir einig. Und genau hier ist der entscheidende Unterschied zwischen uns und den Tieren, und er liegt beileibe nicht nur in unserem Hirn. Elefanten sind mindestens so schlau wie wir, und Delphine auch. Aber den einen fehlen die Daumen, und den anderen sogar die Hände. Es muss vieles zusammenkommen, dass eine Spezies in die Lage versetzt ist, ihre naturgegebene Freiheit erweitern zu können. Aber sobald eine solche Spezies entsteht, wird genau das – die Erweiterung ihrer Freiheit – im Mittelpunkt ihres Strebens sein. Und so kann man die Geschichte des Menschen lesen als eine fortwährende Erweiterung seiner Freiheit – von den Höhlen in die Wolkenkratzer, vom Laufen zum Fahren und Fliegen, und vom Grunzen zu gregorianischen Chorälen und der Dichtung von Homer oder Shakespeare.
Und was ist die höchste Freiheit? Die Freiheit, alles zu tun. Wirklich alles. Mithin, Alles hervorzubringen. Man könnte also sagen, Freiheit, das ist ein anderer Name für Gott. Und es ist ziemlich traurig, dass es kein Gottesbild in all den vielen, vielen Religionen dieser Erde gibt, das Ihn als Verkörperung der Freiheit darstellt. Im Gegenteil, Freiheit wird vielmehr als etwas Böses behauptet, denken Sie an Prometheus und seine schreckliche Strafe dafür, den Menschen das Feuer zu bringen … Denn fast alle Religionen haben mit der Erkenntnis Gottes nur wenig zu tun, sondern sind eigentlich Versuche, die Freiheit der Menschen zu beschränken. Wer ihnen anhängt, muss irgendwelchen Regeln folgen, sonst wird er bestraft. Man tut also gut daran, Gott nicht in diesen Religionen finden zu wollen, sondern sie als das anzusehen, was sie in Wahrheit sind: Machtinstrumente, und bestenfalls der Versuch einer Ordnung für ein gedeihliches Miteinander. Ich meine deshalb, wenn Sie Gott erkennen, bedeutet, frei sein möchten, dann sind Sie mit Wissenschaft und Philosophie, sogar mit Literatur auf einem besseren Weg, als mit irgendeiner der Religionen.
Die in vielem nur Instrumente sind, Sie zu versklaven – Ihnen also die Freiheit zu nehmen, und damit das genaue Gegenteil von Gott.
Bitte verzeihen Sie den mäandernden Umweg dieses Essays zu seinem eigentlichen Thema. Ich glaube aber, er war notwendig, denn wir haben uns nun der entscheidenden Frage zugewendet. Wenn Freiheit ein Naturgesetz ist, ein Bestandteil Gottes, des “Gesetzes Der Natur” – kann etwas, das die Freiheit zu zerstören sucht, richtig sein?
Sehen Sie, viele Menschen begreifen Gott als “das absolut Gute”. Und das erscheint zunächst unmöglich, denn wo käme dann das Böse her? Da Gott dasjenige Gesetz ist, das alles hervorbringt. Aber, es ist die Freiheit, die das Böse erst entstehen lässt. Nämlich als Freiheit, das Gesetz Der Natur zu missachten.
Gott aber IST das Gesetz Der Natur, er KANN sich selbst nicht missachten. Und deshalb ist Er das absolut Gute, und sonst nichts. Ich gebe zu, es erscheint im ersten Moment wie ein Taschenspielertrick, aber Sie müssen sehen, dass Freiheit doch nicht das einzige Naturgesetz ist. Sicher, sie ist sehr wichtig, denn sie bringt das Leben hervor, aber da gibt es doch noch viel, viel mehr. Ob es Freiheit, Zufall, Gravitation, Ursache-Wirkung, Quantenverschränkung, sonstwas ist, Gott ist die Summe ALLER Gesetze. Um es in unsere menschliche Sphäre zu übersetzen: Wir haben eben nicht die Freiheit, so lange auszuschlafen, wie wir wollen, wenn unsere Kinder ihr Frühstück brauchen und in die Schule sollen – Arterhaltung ist nun einmal auch eines der Gesetze der Natur.
Und ich komme noch einmal zurück auf das Reh und den Tiger. Böse ist nicht das, was irgendwem nicht passt. Böse ist jenes, das den Gesetzen der Natur nicht folgt. Und gut also dieses, welches im Einklang mit ihnen steht.
Und da es widersinnig wäre zu behaupten, es per definitionem sogar ausgeschlossen ist, dass Gott nicht mit Sich Selbst im Einklang sein könnte, ist Gott also das absolut Gute.
Vielleicht finden Sie das einen abgehobenen Gedankengang, und fragen sich, wo denn dabei der Erkenntniswert liegt. Oh, aber diese Sache reicht weit. Sehr weit. Was sich daraus ergibt, ist nämlich, dass der Teufel, das Böse, gar nicht existiert. Was wir als Teufel benennen, das ist vielmehr die Abwesenheit von Gott, oder, mit anderen Worten, die Verletzung Seiner Gesetze. Und dass uns, als Menschen, solcherart Verletzung überhaupt (in gewissem Grade) möglich ist, ist wiederum nur eine Funktion der Freiheit – diese Möglichkeit entsteht also nur aus der bloßen Tatsache, dass wir leben.
Und somit sind “das Böse”, der Teufel, Luzifer, aber auch alle Dämonen und Rakshasas, nichts Existierendes, sondern – unsere Angst davor, was wir sein könnten. Und weil wir uns dem nicht stellen wollen, personalisieren und externalisieren wir es.
Uns ist gegeben, das nur sehr selten im ganzen weiten Universum gegeben ist. Nämlich das Potential, unsere Freiheit, die in allem Leben ist, sogar zu erweitern. Vielleicht bis in die nächste Galaxie, wer weiß? Und wie Kinder, die erstmals ein Feuer entzünden, haben wir große Angst davor. Und geben unserer Angst ein Gesicht, mit Hörnern, Hufen und einem ekligen Schweif. Aber das ist nicht etwas, das wirklich existieren würde. Denn in Wahrheit gibt es nur Gott. Und Satan, das ist nichts weiter als unsere Furcht, uns unseres großen Geschenkes solcher Freiheit nicht würdig erweisen zu können.